HEIMAT abroad | Frühling 2018

INTERVIEWS | LEBENSLINIEN

Lebenslinien: Alexandra Reese
Juliane Tranacher
Beschreibung: Was bringt Deutsche, Österreicher und Schweizer nach Amerika? Was lieben sie an dem Land und was vermissen sie an ihrer alten Heimat? Wir stellen in jeder Ausgabe einen Auswanderer oder Expat vor. In der ersten Folge: die Video-Redakteurin und Fernsehreporterin Alexandra Reese.

Was hat dich nach New York gebracht? 

Der Beruf. Mein Mann und ich hatten die Möglichkeit, für eine gewisse Zeit nach New York zu gehen. Wir waren gerade in eine neue gemeinsame Wohnung in München gezogen, als das Angebot kam. So haben wir schließlich Ein- und Auszugsparty in Einem gefeiert.

Du bist als TV-Journalistin nach New York gekommen. Inzwischen hast du dich außerdem mit „Onedaybaby" selbstständig gemacht. Was genau steckt hinter dem Unternehmen? 

Mit „Onedaybaby“ habe ich meine eigene kleine Produktionsfirma hier in New York verwirklicht. Wir entwickeln einerseits Image- Videos für internationale Unternehmen, die sich online präsentieren wollen, und produzieren andererseits Familienvideos für Privatkunden. Angefangen hat alles mit der Geburt meines Sohnes. Während der Elternzeit habe ich als Journalistin bei der ARD ein Jahr lang pausiert und stattdessen kleine Privatvideos gedreht. Diese Filme dokumentierten das tägliche Leben meines Sohnes hier in New York – daher rührt auch der Name: „one day in our babys life”. Ich fand die Vorstellung schön, dass unser Sohn später sehen kann, wo er geboren und wie er aufgewachsen ist. Und ich war mir sicher, dass auch andere Eltern gerne die Möglichkeit hätten, Ausschnitte aus dem Leben ihrer Kinder einzufangen und festzuhalten.

Hättest du den Schritt in die Selbstständigkeit auch gewagt, wenn du in München geblieben wärst? 

Oder hat das auch etwas mit der besonderen Atmosphäre der Stadt New York zu tun? Ich habe immer schon davon geträumt, eine eigene Produktionsfirma zu gründen. Wahrscheinlich hätte ich es in München eines Tages auch ausprobiert, aber sicher hat New York dazu beigetragen, dass es jetzt schon passiert ist. Diese Stadt hat eine Energie, der man sich nur schwer entziehen kann. Sie treibt einen an, reißt einen mit. Die Grundstimmung, dass man hier alles wagen kann, motiviert einfach ungemein.

»New York hat eine Energie, der man sich nur schwer entziehen kann. Sie treibt einen an, reißt einen mit.«

Wie schaffst du es, Kind und Beruf unter einen Hut zu bekommen? 

Das funktioniert in der Regel erstaunlich gut. Ich habe mittlerweile einen kleinen Pool an Babysitterinnen, die mich tatkräftig unterstützten. Trotzdem beneide ich Freundinnen in Deutschland, die ab und zu auf ihre Familie zurückgreifen können.

Welche deutschen Werte, Vorstellungen und Traditionen möchtest du deinem Kind vermitteln? 

Verbindlichkeit. Die vermisse ich hier. Ich habe aber das Gefühl, dass die in unserer Generation generell abgenommen hat und sich die Leute lieber alle Türen offenhalten wollen – im Beruf wie auch im Privatleben. Das fängt schon bei Verabredungen fürs Wochenende an. Ich schließe mich da selbst nicht aus. Trotzdem finde ich, dass es keine besonders schöne Entwicklung ist. Ich würde mir wünschen, dass die nächste Generation diesen Wert wieder mehr zu schätzen weiß.

Was liebst Du an New York besonders? 

Die Vielfältigkeit. Hier leben Menschen aus der ganzen Welt und alle fühlen sich als New Yorker. Du kommst hier an und gehörst dazu. Und weil jeder etwas von sich einbringt, entwickelt sich die Stadt ständig weiter. Sie ist so reich an kulturellen, sprachlichen und kulinarischen Einflüssen, dass sich jeder Tag wie eine kleine Weltreise anfühlt.

Und was stört dich? 

Schlaglöcher. Manchmal habe ich das Gefühl, New York ist ein einziges großes Schlagloch. Man findet etwa alle zwei Meter eins. Da ich mich in Manhattan fast ausschließlich mit dem Fahrrad fortbewege, treiben mich diese täglich in den Wahnsinn.

An welchem Ort kannst du zur Ruhe kommen? 

Ich muss mich nicht an einem ruhigen Ort befinden, um zur Ruhe kommen zu können. Ganz im Gegenteil: Am besten entspannen kann ich in einem New Yorker Straßencafé. Wenn ich dort sitze und die Menschen und die Umgebung beobachte – dann kann ich am besten Abschalten.

Was gibt es nur in New York? 

Popcorn mit „chicken-chocolate flavor“. Jedenfalls habe ich das bislang nur in New York frisch serviert bekommen.

Hast du das Gefühl, dass dich die Stadt verändert hat? 

Ich habe mich an die Freundlichkeit der Mitmenschen gewöhnt. Ob oberflächlich oder nicht – wenn ich zu Besuch in Deutschland bin, fällt mir erst auf, wie griesgrämig oder schlecht gelaunt die Menschen oft sind. Die kleinen Small Talks an den Kassen in New York, die ich zu Beginn so überflüssig fand, fehlen mir dann richtig.

»Hier leben Menschen aus der ganzen Welt und alle fühlen sich als New Yorker. Du kommst hier an und gehörst dazu.«

Gibt es etwas, das du an deiner Heimat vermisst? 

Ein Gläschen Wein am Flussufer oder bei einem Picknick zu trinken. Alkohol ist hier auf öffentlichen Plätzen verboten. Und wenn ich meinen Wein in einer braunen Papiertüte verstecken und heimlich aus einem Plastikbecher trinken muss, ganz ehrlich, da komme ich mir vor, als wäre ich wieder 15 Jahre alt.

Wann hattest du das Gefühl, die Amerikaner wirklich verstanden zu haben? 

Das habe ich bis heute nicht. Sprachlich allerdings klappt es inzwischen hervorragend.


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