HEIMAT abroad | Sommer 2019

INTERVIEWS | LEBENSLINIEN

HELMUT JAHN: über seine Arbeit und das Leben in Amerika
Juliane Tranacher
Beschreibung: Was bringt Deutsche, Österreicher und Schweizer nach Amerika? Was lieben sie an dem Land und was vermissen sie an ihrer alten Heimat? Wir stellen in jeder Ausgabe einen Auswanderer oder Expat vor. In dieser Folge: den Stararchitekten Helmut Jahn.

Er hat die Skyline von Städten wie Chicago und Philadelphia geprägt und die Flughäfen in München und Bangkok, das Sony Center in Berlin und den Messeturm in Frankfurt entworfen: Helmut Jahn ist einer der international erfolgreichsten deutschen Architekten. In Franken aufgewachsen, ist er nach seinem Architekturstudium an der Technischen Universität München als Stipendiat in die USA gegangen. 1966 begann er in Chicago mit dem Studium am berühmten Illinois Institute of Technology.

Ursprünglich wollte er nur ein Jahr in Amerika bleiben. Doch dann bot sich ihm die Chance, in das Architekturbüro C.F. Murphy Associates in Chicago einzutreten, von dem er später Teilhaber und schließlich Chef und Inhaber wurde. Inzwischen lebt der Stararchitekt seit über 50 Jahren in Amerika. Zu seinem Heimatland hat der 78-Jährige trotzdem noch immer ein ganz besonderes Verhältnis.

Herr Jahn, Sie haben Büros in Chicago, Shanghai und Berlin und betreuen Immobilien-Projekte auf der ganzen Welt. Sind sie viel auf Reisen? Im Laufe meines Berufslebens habe ich an den unterschiedlichsten Orten der Welt gearbeitet. Eine Zeit lang war ich hauptsächlich in New York, dann war meine Arbeit schwerpunktmäßig in Deutschland und schließlich war ich viel im Mittleren und Fernen Osten unterwegs. Grundsätzlich habe ich immer viele verschiedene Projekte in unterschiedlichen Städten und Ländern gleichzeitig betreut. Das ist auch heute noch so. Aber durch die Möglichkeiten, die einem die digitale Kommunikation bietet, muss ich viel weniger physisch anwesend sein. Verstehen Sie mich nicht falsch: In den entscheidenden Phasen eines Projektes halte ich die persönliche Präsenz noch immer für essenziell. Denn nur so kann man den Einfluss und die Kontrolle über das Projekt behalten. Aber in vielen Fällen reicht auch ein einfacher Conference Call. Das spart Zeit und Kosten und man kann die gewonnene Zeit für Dinge nutzen, die wirklich wichtig sind. Privat bin ich häufiger mal in Deutschland. Ich habe noch Freunde dort und mein Bruder wohnt in München.

Sie sind in diesem Jahr zum Grand Marshall der Steuben Parade in New York ernannt worden. Was bedeuten Ihnen solche Feierlichkeiten, in denen die Wurzeln und Traditionen der alten Heimat zelebriert werden? Ich habe den größten Teil meines Lebens in Amerika gelebt, meine Frau ist Amerikanerin und auch mein Sohn ist hier aufgewachsen. Trotzdem verspüre ich natürlich noch eine gewisse Verbundenheit zu Deutschland. Die Teilnahme an der Steuben Parade ist einerseits eine schöne Möglichkeit, diese Verbundenheit auszudrücken. Andererseits möchte ich auch einfach ein bisschen Spaß haben: Ich habe viele Jahre auf der Upper East Side gelebt und bin die 5th Avenue in meinem Leben so oft rauf und runter gelaufen. Da dachte ich, dass es eine schöne Abwechslung sei, mal mitten auf der Straße laufen zu können und nicht immer nur auf dem Bürgersteig.

Hat sich Ihr Verhältnis zu Deutschland, aber vor allem auch zum Deutschsein über die Jahre hinweg verändert? In den 60er Jahren wurde man als Deutscher in den USA sicherlich nicht überall mit offenen Armen empfangen ... Ich bin 1966 über ein Rotary-Stipendium zum Studieren nach Amerika gekommen. Damals bin ich sehr freundlich empfangen worden. Ich hatte nie das Gefühl, dass es ein Problem darstellen könnte, Deutscher zu sein. Ich denke eher, dass es immer Leute gibt, die sich gut verstehen, und solche, die sich nicht so gut verstehen – ganz gleich, wo sie herkommen, welche Hautfarbe sie haben oder welche Religion sie ausüben. Im Übrigen habe ich die amerikanische Staatsbürgerschaft nie angenommen. Viele Leute kommen ja nach Amerika, weil sie nirgendwo anders in der Welt ihren Platz finden. Das war bei mir nicht der Fall. Ich habe mich immer wohl als Deutscher und in Deutschland gefühlt. Dass ich die deutsche Staatsbürgerschaft beibehalten habe, hat allerdings nichts mit irgendeinem Stolz auf das Land zu tun. Es war für mich schlicht eine Selbstverständlichkeit.

Wenn Sie zurückblicken auf die 50 Jahre Ihres Schaffens: Welches Gebäude sehen Sie als absolutes Highlight Ihrer Karriere an? Da gibt es einige. Sicherlich gehört das Sony Center in Berlin dazu, außerdem die Bayer-Zentrale in Leverkusen, der Kölner Flughafen und die Highlight Towers in München sowie der Thyssenkrupp-Testturm in Rottweil. All diese Gebäude haben einen enormen Fortschritt gebracht in der Art, wie man Gebäude baut.

Alle Gebäude, die sie genannt haben, sind in Deutschland – Zufall? Die Art, wie man plant und baut, unterscheidet sich von Land zu Land. Und es ist meiner Meinung nach schon so, dass in Deutschland Dinge möglich sind, die in anderen Ländern nicht umsetzbar wären. Die Gesellschaft ist dort sehr ingenieurbezogen und stark industriell geprägt. Entsprechend fortschrittlich und technisch anspruchsvoll sind dann eben auch die Gebäude.

Sie haben in den neunziger Jahren viel in Berlin gebaut – eine Zeit, in der die Stadt unglaubliche städtebauliche Möglichkeiten bot. Sind Sie zufrieden mit der Art, wie sich die deutsche Hauptstadt in den letzten 25 Jahren entwickelt hat? Berlin war viele Jahre von einer Aufbruchstimmung geprägt und hat in dieser Zeit viel geleistet. Bei den neueren Projekten sehe ich allerdings oft eine große Langweiligkeit. Es wird zwar viel gebaut, aber es wird keine Architektur gemacht. Es entsteht nichts wirklich Mutiges. In Berlin streitet man sich immer noch darum, ob man ein Haus bauen kann, das 100 Meter hoch ist. Damit vertut die Stadt ihre Chance, im internationalen Standortwettbewerb Gebäude zu schaffen, die attraktiv sind für Investoren und für Konzerne. Wenn Berlin so weiter macht, wird es eine reine Touristenstadt bleiben. Um eine Weltmetropole wie Paris, London oder New York zu werden, muss es sich ändern, muss größer und höher bauen. Bedeutende Städte brauchen bedeutende Gebäude.

Sie sind in einem Alter, in dem die meisten schon lange in Rente sind. Denken Sie an Ruhestand? Ich bin ja nicht nur Architekt, sondern auch leidenschaftlicher Segler. Und zwar nicht nur Freizeitsegler, sondern richtiger Sportsegler. Seit 20 Jahren mache ich bei großen Regatten mit. So lange ich das tun kann und das Segeln als Ausgleich habe, denke ich nicht an Ruhestand.

Herr Jahn, vielen Dank für das Gespräch.


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