Leben in den USA

Lebenslinien

January 5, 2020
Ramona McEvoy

Aus der Not zum Erfolg - Wie Christina und Felix samt Kind den New Yorker Wohnungsmarkt ausgekundschaftet haben

Christina Horsten und Felix Zeltner haben den New Yorker Mietraum erkundet, wie wahrscheinlich keine Familie zuvor. Von den Vermietern zum Auszug gezwungen, haben Sie ihre sieben Sachen gepackt und sich in einer “Umzugs-Odyssee” durch New York “gewohnt”. 12 Wohnungen in 12 Monaten in 12 verschiedenen New Yorker Vierteln. Von ihrem Jahr berichten die beiden in ihrem Buch “Stadtnomaden”, mit dem Sie jetzt auch in New York auf Lesetour sind und uns von Heimat abroad auch auf dem ICH BIN EXPAT FAIR dieses Jahr besucht haben.


Als deutsche Familie zieht es einen ja nicht einfach so über den großen Teich nach Amerika. Wie hat es euch nach New York verschlagen ?

Christina:Ich bin hier geboren. Mittendrin: Lenox Hill Hospital, Manhattan. Das war allerdings Zufall, meine Eltern sind Deutsche und haben damals hier gearbeitet. Aufgewachsen bin ich dann auch hauptsächlich in Deutschland, in Bonn und Berlin, aber ich hatte immer so ein bisschen Fernweh, oder vielleicht war es ja auch Heimweh, nach New York. Als mich die Deutsche Presse-Agentur dann 2012 gefragt hat, ob ich nicht Korrespondentin in New York werden will, habe ich natürlich sofort zugesagt - und Felix ist begeistert mitgekommen.

Felix: Christina war von Anfang an hier zuhause. Sie hat es mir leicht gemacht, hier anzukommen. Trotzdem: ich bin in einem Vorort von Nürnberg aufgewachsen und es hat lange gedauert, bis ich kapiert habe, dass wir hier tatsächlich leben.


New York hat vieles zu bieten als Weltmetropole. Was hat Euch an dieser Stadt am meisten gereizt?

Christina:Alles. Die Vielfalt, die Menschen, die Kultur, das Essen, die Energie, die Stimmung, die Möglichkeiten - und für mich auch ganz persönlich das Wiederentdecken meiner Geburtsstadt.

Felix: Als wir hier ankamen, war es für mich das Gefühl unendlicher Möglichkeiten. Heute würde ich sagen, es sind vor allem die Migranten, aus dem In- und Ausland, die der Stadt diese ungeheure Energie und Ambition geben. Und Teil dieser Menschen zu sein und sich selbst ausprobieren zu dürfen.


Der Wohnungsmarkt in New York ist von hohen Mieten und kleinem Wohnraum geprägt. Wie seid ihr da auf die Idee gekommen durch die verschiedenen Stadtteile zu ziehen und daraus euer Buch “Stadtnomaden” zu machen ?

Christina: Es war eigentlich gar kein Projekt sondern es war eine aus der Not geborene Schnapsidee. Wir standen innerhalb von einem Jahr zweimal mit Baby auf der Straße - das erste Mal wegen einer fiesen Vermieterin, das zweite Mal wegen einer fiesen Mieterhöhung. Und dann haben wir uns gesagt: Jetzt erst recht! Wir wollen in New York bleiben - wie können wir aus Zitronen Limonade machen? Unsere Lösung: Wir mieten jetzt mal ein Jahr lang anders, immer nur für einen Monat, so können wir die Stadt quasi speed-daten und ein Viertel und eine Wohnung finden, wo wir uns wohlfühlen. 12 Monate, 12 Viertel in allen 5 Bezirken. Unsere Familie und Freunde in Deutschland hielten das für eine komplett schwachsinnige Idee, aber die New Yorker Freunde waren begeistert - und einer hatte sogar eine Wohnung für uns, in der wir anfangen konnten.

Felix: Den Tag, an dem wir unser altes Leben in Brooklyn aufgegeben und alles rausgeschmissen haben, all den Ballast abgeworfen haben, werde ich nie vergessen.


Viele Menschen finden umziehen eher wahnsinnig stressig und verbinden damit nicht unbedingt viel positives. Dennoch: was konntet Ihr positives aus eurer "Umzugs-Odyssee" mitnehmen?

Felix:Dass es außerhalb der Komfortzone geniale Dinge gibt, die man gar nicht ermessen kann, bevor man sie verlässt. Dass man nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Und dass es das Leben und Wohnen besser macht, wenn man seine Nachbarn zu sich einlädt.

Christina:Wir versuchen, uns den Geist dieser Umzugs-Odyssee weiter zu bewahren: Ständig die Stadt zu erkunden, neighborhood dinner zu schmeißen, nicht zu viel Zeug anzuhäufen und unseren Schnapsideen weiter zu folgen!


Bei so vielen verschiedenen Eindrücken und Erfahrungen gibt es sicherlich einiges was euch überrascht hat. Habt ihr da ein Beispiel für uns?

Christina:Als wir angefangen haben, dachte ich, dass ich mich in New York eigentlich schon ganz gut auskenne - schließlich bin ich hier geboren und hatte schon vier Jahre als Korrespondentin hier gearbeitet, als wir losgezogen sind. Aber was wir dann alles entdeckt und gesehen haben, hat mich völlig umgehauen - und heute würde ich mich gar nicht mehr trauen, zu behaupten, dass ich mich in der Stadt auskenne. New York überrascht einen einfach jeden Tag aufs Neue und das ist ja auch eine der großartigen Seiten dieser Stadt.

Felix: Eigentlich war jeder Tag eine Überraschung, aber um es kurz und konkret zu machen: Dass wir tatsächlich über ein Jahr lang durchgehalten haben – und dass daraus ein Buch geworden ist! Ein Bestseller in Deutschland! Aus so einer absurden Idee. Das kann ich immer noch nicht ganz fassen. Jetzt stellen wir das Buch in New York vor, die Premiere war auf der Ich bin Expat Fair, als nächstes sind wir beim Generalkonsul zuhause und dann am Deutschen Haus der NYU. Crazy.


Nun habt ihr alle fünf Bezirke, mit all ihren Facetten von New York kennengelernt. Gibt es für euch einen Lieblingsstadtteil?

Christina: Das ist immer eine ganz schwierige Frage, denn wir haben uns in allen Stadtteilen sehr wohl gefühlt. Am meisten im Gedächtnis hängen geblieben sind uns aber sicher diejenigen, die uns am meisten überrascht haben - vor allem die Bronx und Staten Island.

Felix: Wir haben echt prokrastiniert bei diesen beiden Stadtteilen, haben sie während des Umziehens immer vor uns her geschoben, vor allem wegen der weiten Wege zur Arbeit und zu Emmas Kindergarten. Aber beide Ecken waren dann so großartig - in der South Bronx hatten wir ein ganzes Haus für uns und man hat uns so freundlich und warmherzig empfangen wie nirgends sonst, und der North Shore von Staten Island hatte im Sommer fast etwas von San Francisco, mit den Hügeln und dem Blick über die Bucht und der morgendlichen Fahrt mit der Fähre in die Stadt. In die vielen Planeten, die das Universum New York hat, kann man sich jeden Tag neu verlieben.


Ihr schwärmt unheimlich viel von eurer Erfahrung. Aber gab es Momente wo Ihr euch gedacht habt "wir wollen nicht mehr, wir wollen zurück"

Felix: Wir wurden übers Ohr gehauen, waren obdachlos, haben unsere Geldbeutel verloren, Trump wurde gewählt, und das alles innerhalb weniger Wochen. Keine schöne Zeit. Sehr, sehr weit außerhalb unserer Komfortzone.

Christina: Aber es gab ja kein Zurück, wir hatten ja keine Back-Up-Wohnung oder ähnliches mehr. Wir hatten beide viele Momente, wo wir aufhören wollten mit der ganzen Umzieherei, wo uns alles zu viel und zu anstrengend wurde, aber wir hatten sie nie gleichzeitig, sondern immer nur einer von uns - und der andere hat den dann da wieder raus gezogen und zum Weitermachen motiviert.

Felix: Letztendlich haben uns die New Yorker am meisten gepusht und uns vor allem in den zweiten sechs Monaten, als unser Irrsinn bekannter wurde, mehr und mehr geholfen. Am Schluss war es wie Surfen auf einer langen Welle.


Die ganze Geschichte hat sich wie Felix schon gesagt hat so langsam herumgesprochen und ihr habt viel Zuspruch erfahren. Was hat sich für euch seit der Veröffentlichung des Buches verändert ?

Christina:Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass wir mal ein Buch schreiben würden, das es auf die Bestsellerliste schafft, und das uns auf Lesereise an Orte wie das Lollapalooza-Festival in Berlin, die Frankfurter Buchmesse oder das Volkstheater in München führt. Da ist schon ein Traum in Erfüllung gegangen.

Felix: Ich glaube nicht, dass wir uns sehr verändert haben. Vielleicht sind wir ein bisschen entspannter mit unserem persönlichen Leben geworden, dass wir ja jetzt mit vielen teilen. Manchmal werden wir auch erkannt, eine sehr seltsame Erfahrung, denn man kennt den anderen ja nie. Und die Buchtouren sind wirklich was ganz Besonderes. Wenn man so herumtingelt, mit dem Kofferraum voller Bücher und auf dem Rücksitz zwischen den Kindern ein Roadie, meistens Eltern oder Verwandte, der oder die das Ganze zusammenhält, jeden Abend in einer anderen Stadt, jeden Abend vor anderen Fremden, und so viel Hilfe erfährt – viele Leute von der großen Stadt bis zum kleinen Dorf haben sich große Mühe gemacht, um uns und unser Buch zu sich zu holen – da kann man schon ein bisschen süchtig werden.


Euer Buch heißt Stadtnomaden. Dieser Begriff bedeutet für jeden etwas anderes. Was bedeutet das Wort "Stadtnomaden" für euch?

Christina:Das verkörpert für uns eine Lebensweise, quasi das Prinzip Stadtnomade: Raus aus der Komfortzone, die Stadt entdecken, mit Menschen sprechen und sie zu sich nach Hause einladen, minimal-essentiell leben, also so wenig wie nötig besitzen, sich es aber trotzdem auch schön machen - und natürlich den eigenen Schnapsideen folgen!

Felix:Stadtnomade kann jeder sein. Und wenn es nur heißt, jede Woche einen anderen Weg zur Arbeit zu nehmen.


Jetzt wo das erste Buch so ein Erfolg wurde, können wir noch mehr Bücher von Euch erwarten?

Felix: Wir sind in diese Geschichte ja reingeraten. Wir haben sie uns nicht ausgesucht. Insofern: mal sehen! Aber wenn ihr das lest und eine Schnapsidee habt, schickt sie uns:[email protected]. Was wir außerdem verraten können: wir arbeiten daran, dass es eine englische Version des Buchs gibt. Es gibt so viele Menschen hier, die uns geholfen haben und denen wir die Geschichte nicht vorenthalten wollen.


Neben der Arbeit am Buch, habt ihr natürlich auch Jobs, denen Ihr bereits vor eurem Erfolg nachgegangen seid. Ihr seid beide erfolgreiche Journalisten und Felix hat noch "Work Awesome" mitgegründet, eine Firma, die weltweit Events zum Thema "Zukunft der Arbeit" organisiert. Jetzt kommt "Stadtnomaden" mitsamt Buchtouren in Deutschland dazu und ihr habt zwei süße kleine Töchter. Wie schafft ihr das alles?

Christina: Mit viel Hilfe! Ohne unsere Eltern, Großfamilien und Freunde ginge das alles nicht.

Felix: Natürlich ist es nicht immer lustig, als Zirkus-Familie durch die Lande zu ziehen, wenn man gleichzeitig Korrespondent ist oder eine Firma aufbaut. Aber wir sind durch das dauernde Umziehen stressresistenter geworden, glaube ich. Also schaffen wir inzwischen ein bisschen mehr als früher, ohne nachzugeben. Und, wie Christina schon sagt: unsere Familie, die uns ja am Anfang des Umziehens kritisch beäugt hat, hilft uns inzwischen sehr, sehr viel. Unsere ältere Tochter verbringt jedes Jahr mindestens einen Monat in Deutschland, und wir kriegen viel Besuch.


Die Unterstützung aus Deutschland und die Verbindung zur Familie ist in Zeiten großer Ungewissheit, sicher immer ein rettender Ast. Gibt es Momente in denen ihr Deutschland und die Menschen dort vermisst ?

Christina: Ja klar. Aber wir sind regelmäßig in Deutschland und bekommen auch sehr oft Besuch von dort, der dann Gummibärchen und Lakritz mitbringt.

Felix: Das mit dem Besuch ist wirklich besonders. In München wollte mich höchstens mal jemand besuchen, wenn Oktoberfest war. Aber schön ist es trotzdem, wie viele Verwandte und Freunde die letzten Jahre bei uns auf der Türschwelle standen.


Als Journalisten und Firmengründer erlebt ihr sicher auch so einiges. Erzählt doch mal ein bisschen von Euren Jobs.

Christina: Als Korrespondentin der Deutschen Presse-Agentur dpa berichte ich über die USA und Kanada, von Wissenschaft über Kultur bis hin zu den Promis - und vor allem über alles, was in New York passiert: Von den Vereinten Nationen über Kunstausstellungen und Lokalpolitik bis hin zu den neuesten Food-Trends.

Felix: Ich habe Work Awesome mitgegründet – eine Firma, die Konferenzen zur Zukunft der Arbeit organisiert, vor allem in den USA und in Deutschland. Die Arbeitswelt ändert sich in einem aberwitzigen Tempo, und wir bringen die spannendsten Themen und Menschen dazu journalistisch kuratiert in einem Raum zusammen, um gemeinsam zu verstehen, zu diskutieren und uns fit zu machen für die vielen Veränderungen, die gerade passieren.


Felix, du hast selber gesagt, die Arbeitswelt verändert sich rasant. Hast du einen Tipp für die Arbeitnehmer unserer Zeit mit den Veränderungen, vor allem mit Zeit- und Arbeitsdruck, besser umzugehen?

Felix:Bei unserer Work Awesome Konferenz in Berlin hatte Jenny Podewils, die Mitgründerin von Leapsome, einem HR-Startup, das bald in die USA kommt, drei ganz persönliche Ratschläge, wie sie effizienter und entspannter arbeitet: Erstens, sie meditiert jeden Morgen für zehn Minuten, mit einer App. Zweitens, sie hat alle Notifications auf ihrem Handy ausgeschaltet. Drittens, sie und jeder Mitarbeiter ihres Teams schreibt jeden Morgen zwei Dinge in den internen Chat: Was habe ich gestern erreicht? Und was nehme ich mir heute vor? Wer solche modernen Routinen schafft, ist glaube ich schon ein gutes Stück weiter.


Jetzt haben wir viel von eurer Erfahrung während des Umziehens erfahren und wie Ihr euer täglich Brot verdient, aber was wünscht ihr euch für die nahe Zukunft ?

Christina:Dass es uns und unseren Lieben weiter so gut geht wie jetzt gerade. Und dass wir uns das Prinzip Stadtnomaden in unserem Leben erhalten können, aller Alltagsroutine zum Trotz.

Felix:Dass wir keine Angst davor haben, sondern anpacken.


Nach all den Geschichten stellt sich die Frage: Ist schon ein weiterer Umzug geplant ?

Felix: Wir haben uns gerade ein bisschen in unsere jetzige Wohnung verliebt und mit zitternden Händen einen Zweijahresvertrag unterschrieben.

Christina:Aber unsere ältere Tochter Emma fragt immer, wann wir endlich wieder umziehen.

Felix: Ja, sie hat definitiv den Stadtnomaden in sich. Mal sehen, ob sie das später auch umsetzt – oder doch als Rebellin gegen das Leben ihrer Eltern mit Bausparvertrag ins Landhaus zieht.


Auch wenn Emma sich schon nach dem nächsten Umzug erkundigt hat, inwiefern war es euch wichtig Emma trotzdem irgendwie eine gewohnte Umgebung zu bieten?

Christina:Wir haben erst über das Umziehen einen bezahlbaren Kindergarten für sie entdeckt, das war mit das Beste an dem ganzen Projekt. Vorher war sie noch bei uns zu Hause, weil wir da noch keinen bezahlbaren Kindergarten gefunden hatten. Während dem Umziehen haben wir sie dann aber jeden Tag in ihren Kindergarten nach Chinatown gebracht, wo es ihr - und uns - wahnsinnig gut gefallen hat. Das Umzugsprojekt hat uns aber auch gezeigt: Für Emma sind nicht die vier Wände um sie herum von Bedeutung, sondern die Menschen. Wo wir drei und inzwischen vier sind ist Zuhause, egal wo das ist.

Felix: Home is where we are.


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StadtNomaden cover


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